In diesem Projekt war ich allein verantwortlich für alle Bereiche der visuellen Erscheinung, von der Analyse über die Strategie, Kreation und Umsetzung bis zur Produktion. Regelmäßig präsentiert und verargumentierte ich meine Ergebnisse vor dem Projektteam.
Die märchenhafte und abenteuerliche Heldensage »Otnit« ist selbst unter Literaturwissenschaftlern wenig bekannt – vielleicht 650 Jahre alt, vielleicht 800. Ein Text voller Stereotypen: Riesenstarker Held, fernschöne Prinzessin, fremdböser Widersacher; ein Geflecht von Figuren, Dingen und Räumen.
Im Rahmen eines Projektseminars des Deutschen Instituts der Johannes Gutenberg-Universität Mainz entwickelten Studierende aus einem mittelalterlichen Heldenepos eine zeitgenössische Theaterinszenierung. Parallel zum Bühnenstück sollte ein Erscheinungsbild entstehen, mit dessen Kreation ich beauftragt wurde.
Prof. Dr. Stephan Jolie, Vizepräsident für Studium und Lehre formte aus Studierenden des Deutschen Instituts, der Hochschule für Musik der Johannes Gutenberg-Universität und der Hochschule Mainz das Otnit-Team.
Neben den klassischen Aufgaben eines werbewirksamen Veranstaltungsdesigns sollte die Gestaltung, die Verbindung des mittelalterlichen Heldenepos und seiner modernen Neuinszenierung visualisieren.
Mein Anspruch war es, dem Projekt durch das Erscheinungsbild ein eigenes und einzigartiges Profil zu verleihen. Die Gestaltung sollte identitätsstiftend für das gesamte Projektteam wirken und darüber hinaus die Initiatoren des Projekts und deren große Leidenschaft für die deutsche Sprache und Literatur widerspiegeln.
Die Analyse des Epos sowie der Austausch mit den Projektgruppen inspirierte mich dazu, den Text selbst sowie die Arbeit mit und an diesem als Grundlage für mein gestalterisches Konzept zu nutzen. Das so entstandene Designsystem vermittelt Inhalte und Emotionen, indem es Worten und Linien in Beziehung setzt.
Im Otnit-Projekt bildet der literarische Text die Basis der Inszenierung. Analog hierzu dient die sachliche Typografie als Grundlage des Entwurfs. Das Designsystem setzt einzelne Worten und Linien in Beziehung und vermittelt so Inhalte und Emotionen. Mithilfe dieses Systems, lässt sich Otnits Feldzug über das Meer ebenso wie die Spannung zwischen Ihm und seinem Vater darstellen.
Das Erscheinungsbild wirkte nicht nur identitätsstiftend, sondern spiegelt die Leidenschaft des Teams für Literatur wider. Das experimentelle Gestaltungssystem lässt sich flexibel erweitern und konsistent auf verschiedene Medien übertagen. Die einzelnen Komponenten ermöglichen die Darstellung unterschiedlichster Sachverhalte und laden den Betrachter zum Spekulieren und Interpretieren ein.
Im Rahmen des Otnit-Projekts entstanden unter anderem ein Veranstaltungsplakat und eine Flyerserie. Durch die in unterschiedlicher Weise aufeinander reagierenden und sich ergänzenden Worte und Linien erzählt das Plakat das gesamte Epos nach – von der Krönung Otnits über die Konfrontation mit seinem Vater bis hin zu seinem Tod. Die verschiedenen Flyer berichten in diesem Stil detaillierter über einzelne Szenen des Stücks.
Als Dokumentation und Andenken gleichermaßen dient das Programmheft. Es bietet Informationen zum historischen Text sowie Einblicke in den Arbeitsprozess der Projektteams und hinter die Kulissen der Inszenierung. Der klassische Satzspiegel mit breiten Stegen auf rauem, ungestrichenem Papier erinnern an mittelalterliche Druckschriften. Flexible Kolumnen, dynamisch Bildlayouts und die modifizierten Corporate-Elemente wirken lebendig und zeitgemäß.
Der Materialkontrast zwischen dem groben Zeitungspapier des Programmheftes und dem glattem, glänzendem Kunststoff des Snazzybags spielgelt den Zwiespalt des Hauptcharakter König Otnits wieder. Ein kleiner, hilfloser Junge der seinem Heldimage keineswegs gerecht werden kann.
Neben dem Erscheinungsbild entstand innerhalb von zwei Semestern ein außergewöhnliches und einmaliges Bühnenstück. Welches am 7. November 2014 unter andrem im Staatstheater Mainz aufgeführt wurde.
Prof. Anna-Lisa Schönecker,
Professorin für Informationsdesign der HS Mainz
Univ.-Prof. Dr. Stephan Jolie,
Vizepräsident für Studium und Lehre der JGU, Mainz